„Rocky Mountain oysters, swinging beef, dusted nuts“ nennt man das Gericht im Slang. Aber eigentlich werden die frittierten Stierhoden in Texas korrekterweise als „Calf fries“ bezeichnet. Warum diese Bezeichnung die eigentlich richtige ist, hat einen besonderen Grund.
Der mazedonische Aussiedler der einst das Gericht erfand, konnte kein gutes Englisch und nannte sie kurzerhand Calf fries. Weil er „Mountain oysters“ nicht richtig aussprechen konnte. Und so kamen die Calf fries in Texas auf die Speisekarte. Wie es dazu kam das ein Mazedonier frittierte Bullenhoden als Gericht verkaufte erfahrt Ihr hier in unserer Makedonien FAQ:
Aussiedler aus Skopje als innovativer Gastronom
Mit 400 Dollar und fünf französische Goldmünzen in der Tasche endete eine lange Reise von einem jungen Mazedonier mit einer Zwischenetappe. Die Lusitania, wie das Schiff hieß mit welchem er Amerika über England erreichte, fuhr just an der Freiheitsstatue in New York vorbei. Schließlich aber sollte er weitere 1600km reisen bevor er sein endgültiges Ziel erreichen sollte: Texas. Genauer gesagt Fort Worth.
„Eine lange Reise beginnt immer mit dem ersten Schritt“ und Theo Yordanoff machte den ersten Schritt als zukünftiger Aussiedler in Skopje – dann über Sofia, Liverpool und New York nach Texas. Wir schreiben Mai 1914 als er die Freiheitsstatue zum ersten mal sah. In den Jahren davor (von 1912 bis 1913) wüteten in seiner Heimat Mazedonien die Balkankriege. Armut, Hunger, Tod, Repressalien begleiteten sein junges Leben bis dahin.
Und so fasste er einen Entschluss wie vieler seiner Landsleute. Er kehrte seiner Heimat den Rücken um ein besseres Leben zu finden. Als Randnotiz könnte man anmerken, dass er sich glücklich Schätzen konnte nicht ein Jahr später das Schiff bestiegen zu haben, denn es wurde vor der irischen Küste torpediert, getroffen und versenkt.
Vorausgegangen war der Tod seines Vaters. Als er vier Jahre alt war nahm ihn sein Onkel auf. Dann verlor er seinen Job in einer osmanischen Apotheke (die Türken waren Besatzer Mazedoniens bis 1913). Briefe von seinen Verwandten und Freunden die schon davor das besetzte Mazedonien Richtung USA verließen und in Texas Arbeit und etwas Wohlstand und vor allem Frieden fanden, haben seinen Entschluss weiter gestärkt.
400 Dollar und 5 Goldstücke waren für damals viel Geld, aber er arbeitete eben hart um ein Startkapital zu haben. Als er dann noch das benötigte Geld für das Ticket ab Sofia nach Fort Worth beisammen hatte, begann seine Reise in die Staaten.
Kaum in Fort Worth angekommen, fand er umgehend Arbeit im Armour Packing House. Er erkannte jedoch schnell, dass die 6,45 Dollar die er im Jahre 1914 in Texas in der Woche verdiente nicht genug sind um ein „gutes Leben“ zu führen. Er wechselte nach nur vier Wochen den Job und fand eine Anstellung im Harris Hospital. Dort waren die Umstände und auch die Bezahlung nicht wesentlich besser, aber es war so gesehen der Startschuss für seine Karriere als zukünftiger Gastronom.
Zu aller erst hatte er dort die Möglichkeit Englisch zu lernen, was in der „neuen Heimat“ natürlich vom Vorteil war. Er sprach zwar Mazedonisch, Französisch, Bulgarisch, Serbisch und auch Griechisch, aber das half ihn in Texas nicht weiter. Aber auch dort im Harris Hospital weilte er nicht lange. Als ein Doktor seine Putzarbeit kritisierte, drückte der wutentbrannte Mazedonier ihm postwendend den Wisch Mob in die Hand, kündigte und holte seinen Lohn ab.
Auch wenn es komisch klingt, das war jedoch sein Glückstag. Als er nochmal nach oben in sein Quartier im Krankenhaus ging um seine Sachen zu packen, entdeckte er zufällig leerstehende Räumlichkeiten und drei Billardtische.
Und da überkam ihm eine Idee. Warum nicht ein „Recreation Center“ eröffnen. So fragte er sich durch und erfuhr das die Räumlichkeiten als auch die Pooltische zur Miete ausgeschrieben waren. Wie es der Zufall so wollte, war sein erspartes das er dabei hatte Ausreichend um diese anzumieten. Und so begann seine erste Geschäftstätigkeit in den Staaten, und, er war umgehend erfolgreich. Der perfekte „American Dream“, wie man später sagen würde.
Schon am ersten Tag nahm er (für die damalige Zeit gute) neun Dollar ein. Seine Einnahmen begannen rapide zu steigen, erst 20, dann 40, dann fünfzig Dollar am Tag – mehr Geld als er sich jemals in Mazedonien hätte erträumen können.
Er zeigte sich von Anfang an Innovativ. Da er keine Ausschankgenehmigung besaß, holte er Bier für seine Gäste bei einem benachbarten Saloon um es zu servieren. Seine Kunden waren hauptsächlich „cowpokes“, oder Cowboys wie man in Deutschland sagen würde, und Angestellte von Viehhöfen die es dort reichlich gab.
Dem Eigentümer (Vermieter) war nicht entgangen das der Mazedonier gutes Geschäft machte und hob öfter die Miete an. Theo Yordanoff fragte nach einiger Zeit über eine Mietminderung nach, aber stieß auf taube Ohren. So begann er nach anderen Räumlichkeiten zu suchen, die er in der Exchange Area fand. Dort eröffnete er eine weitere Freizeit-Kneipe, die sogar noch profitabler als die erste war.
Der Erste Rückschlag holte ihn 1942 ein. Bei den großen Überschwemmungen in Fort Worth verlor er seine Pooltische und sein Geschäft. Der Traum schien ausgeträumt zu sein. Ganze fünf Monate konnte er nichts geeignetes finden. Er erkannte dabei, dass die Cowboys reichlich an der Zahl waren und essen mussten. Und so eröffnete er einen „Lunch counter“, eine Kantine.
Stierhoden gab es vom Schlachthof für Umsonst!
Eines Tages bestellte ein Cowboy „Mountain oysters“ (Berg-Austern). Theo wusste nicht was das ist. Als er sich durchfragte erfuhr er, dass das Stierhoden seien. Danach wandte er sich an einen engen Freund, wie viel denn ein Pfund Stierhoden kosten würden. Dieser erwiderte mit einem fragwürdigen Blick: Umsonst!
Da klingelten sprichwörtlich die Dollarzeichen in den Augen von Theo Yordanoff. Er kreierte ein Gericht, packte die frittierten Stierhoden in Sandwiches und verkaufte seine Kreation für anfänglich 15 Cent. Aber er hatte ein Problem…
Er war zwar nun schon eine Zeitlang in den Staaten aber das Englische lag ihm immer noch nicht. Er konnte „Mountain oysters“ nicht richtig aussprechen. Und so nahm er zwei Wörter die er gut aussprechen konnte und gab dem Gericht einen Namen der bis heute Aktuell ist: Calf fries!
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Als erfolgreicher Aussiedler und jetzt Gastronom fand seine Story den Weg in den Zeitungen. Die Saturday Evening Post veröffentlichte seine Geschichte über die Calf fries, und so kam es, dass diese Bezeichnung für die Cowboy Delikatesse Einzug in die dortige Gastronomie fand.
In dem Buch Legendary Locals of Fort Worth (Screenshot) wird Yordanoff in einem Kapitel über Innovatoren aufgeführt, und es heißt, seine Stierhoden-Sandwiches galten als „billige und nahrhafte Mahlzeit für die Männer, die in den nahegelegenen Fleischfabriken arbeiteten“.
Dank Stierhoden zur Expansion
Unterdessen war seine Kantine ein voller Erfolg. Aber seine besser situierten Freunde mieden dieses Rauhe „Etablissement“ und wollten etwas vornehmeres, wo sie dann Speisen würden. Dies führte dazu das Teodor Jordanov, wie er nicht amerkanisiert hieß, einen neuen Gastronomie-betrieb eröffnete. „Saddle and Sirloin Inn“ nannte sich dann das neue Restaurant das nun auch vornehmere Gäste empfangen und bewirten konnte.
Allerdings wollte er vom Cowboy Stil sich nicht abwenden, mit dem Cowboy-Saloon Image war er schließlich zum erfolgreichen Gastronom geworden. So beauftragte er einen Künstler von Walt Disney, sein neues Restaurant im Saloon Stil einzurichten. Nicht nur das Interieur, sondern auch das Äußere Erscheinungsbild sollte diesem „Wilder Westen“ Stil treu bleiben.
Neben den populären Stierhoden gab es bald aber noch eine weitere Delikatesse auf der Speisekarte. Die polnische Kapusta (Kohl) Suppe. Diese Kreation fand durch seine Frau, einer Polin, den Weg in sein Restaurant. Er begann auch Steaks zu braten, und bis in den Anfängen der 1970ern ging jedes Steak das dort verzehrt wurde durch seine Hand. Yordanoff stand selbst am Grill bis das Alter ihn dazu Zwang kürzer zu treten.
Dies war aber noch nicht das Ende der Innovationen. Sein Restaurant war sogar das erste in der weiteren Gegend welches Lammbraten anbot. Ein Gericht das er aus seiner Heimat Mazedonien mitbrachte. Aber er stieß auf Widerstand der Herdenbesitzer. In ihren Augen war es irgendwie seltsam, als würde man „einen Freund verspeisen“. So lieb kümmerten sich damals die Züchter um ihre Lämmer…
Theo’s wurde 1993 an Jim Riscky, den Enkel von Joe und Mary Riscky, verkauft. Nach dem Umzug aus Polen eröffneten die Risckys 1927 Risckys Grocery & Market in der Nähe der Viehhöfe und verkauften Barbecue-Mittagessen mit ihrer Tomaten-Barbecue-Sauce. Jim Riscky änderte den Namen von Theo’s in Riscky’s Steakhouse, aber viele der Originalrezepte sind erhalten geblieben, darunter Yordanoffs Kapusta Kohlsuppe und die berühmten „Kalbsfritten“.
Heute schätzt man, dass das familienfreundliche Steakhouse jede Woche zwischen 120 und 150 Pfund frittierte Stierhoden verkauft. Ein deutlicher Anstieg der Nachfrage ereignete sich 2010, als „Beweis, dass Sie den Mut haben „Eier zu essen“ in eine Texas Monthly Bucket List mit 63 Dingen, die jeder Texaner tun sollte, bevor er stirbt.
Ob sie jemals aus der Mode kommen werden? Auf so eine Frage hört man in Fort Worth nur folgende Antwort: „Vielleicht an anderen Orten, aber nicht in den Fort Worth Stockyards – sie sind seit fast hundert Jahren dort, Tendenz steigend. Sie gehen nirgendwo hin, sie bleiben hier“!
Verwendete und zitierte Quellen:
- The Texas Historian, Volume 35, Number 1, September 1974
- The Dallas Morning News, vom 09.09.2021