Die Kriege um die Nachfolge Alexanders des Großen wurden von faszinierenden Kriegsherren dominiert, die mächtige, vielfältige Armeen anführten und Feinde in der ganzen Länge und Breite der bekannten Welt bekämpften.
Dies war jedoch nicht alles in der blutigen makedonischen Geschichte. In dieser Zeit traten auch einige einflussreiche Frauen in den Vordergrund – jede mit ihrer eigenen unglaublichen Story. Die vielleicht größte dieser Geschichten gehört der kühnen und ehrgeizigen Kynane – Halbschwester von Alexander III von Makedonien. Das ist ihre Geschichte.
Makedonien und Illyrien: eine umstrittene Nachbarschaft
Während der gesamten Antike waren die Illyrer einer der größten Feinde Makedoniens – wilde Kriegervölker im Norden und Westen Makedoniens. Doch im frühen 4. Jahrhundert vor Christus war diese illyrische Bedrohung besonders Akut.
Unter der Führung des Kriegsherrn Bardylis, König der Dardaner, richteten die illyrischen Kriegerbanden in Makedonien Chaos an und plünderten viel Reichtum und nahmen Land in Anspruch. Bis 359 v. Chr. hatten unzählige illyrische Überfälle das Königreich Makedonien am Rande der Zerstörung gebracht.
Doch 358 vor Christus änderte sich alles, als der neue König von Makedonien, Philipp II., und seine neue reformierte Armee einen entscheidenden Sieg gegen den Veteranen Bardylis errangen. Der zusammen mit 7.000 seiner Männer in der Schlacht ums Leben kam. Die illyrische Bedrohung war unterdrückt worden.
Lesereihe: Die Expansion unter Philipp II von Makedonien
Um die jahrhundertealten feindlichen Beziehungen zwischen den beiden Königreichen zu mildern, schloss Philipp die Illyrer an das makedonische Königshaus an, als vereinbart wurde, die illyrische Prinzessin Audata zu heiraten. Audata war höchstwahrscheinlich die Enkelin des kurz zuvor auf dem Schlachtfeld gefallenen Bardylis. Ungefähr ein Jahr später brachte Audata eine Tochter zur Welt. Ihr Name war Kynane.
Über die junge Kynane
Das Faszinierende an illyrische Frauen im 4. Jahrhundert v. Chr. war, dass sie für den Krieg erzogen wurden. Von Kindheit an wurde ihnen beigebracht, hart zu sein und bei Bedarf mit den Männern im Kampf zu kämpfen. Kynane schien nicht anders zu sein.
Schon in jungen Jahren bildete Audata ihre Tochter in der Kunst des Krieges aus und blieb dabei ihren illyrischen Wurzeln treu. Als Kynane im mittlerem Teenager alter war, war sie schon als eine beeindruckende Kriegerprinzessin bekannt.
Kynane begleitete die makedonischen Soldaten mit ihrem Vater Philipp II und Halbbruder Alexander III auf Feldzügen, auf denen sie ihre militärischen Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld aus erster Hand unter Beweis stellte. Bald verbreiteten sich in ganz Makedonien legendäre Geschichten über die Kriegerprinzessin – die „barbarische Amazone“.
Der antike makedonische Historiker Polyaenus, der etwa 450 Jahre später seine Werke verfasste, erinnerte sich an eine berühmte Geschichte, die er über Kynane gehört hatte und diese uns hinterließ:
Sie war berühmt für ihr militärisches Wissen; Sie befahl Armeen und griff auf dem Feld an ihrer Spitze selbst an. In einer Schlacht mit den Illyrern (344-343 v. Chr.) erschlug sie selbst Caeria, die Königin, mit einem tödlichen Schlag in die Kehle; und sie besiegte die illyrische Armee mit einem großem Gemetzel.
Polyaenus Buch 8
Kynane war der Typ Frau, mit der man sich nicht anlegen wollte…
336 v. Chr. wurde König Philipp II. von Makedonien ermordet und sein Sohn Alexander, der später als Alexander der Große Berühmtheit erlangen sollte, bestieg den makedonischen Thron. Eine der ersten Aktionen von Alexander bestand darin, alle rivalisierenden Buhler auf seinen Thron zu beseitigen. Dies schloss einen Mann namens Amyntas ein, Alexanders Cousin, der nach Philipps Tod keinerlei Versuch unternommen hatte, die Macht zu übernehmen.
Amyntas war jedoch nicht nur Alexanders Cousin. Er war zugleich der Ehemann von Kynane. Eines der ersten Dinge die Alexander nun tat als er auf den Thron kam, war, seine Halbschwester Kynane zur Witwe zu machen.
Kynane als Diplomatische Schachfigur
Alexander war hier mit Kynane noch nicht fertig. Er sah sie als einen wertvollen „Bauern“ an, die er für seine diplomatischen Spiele einsetzen konnte. Ein Schlüsselelement in einer Zeit, in der Ehen zwischen königlichen Häusern für die Sicherung starker, dauerhafter Allianzen mit benachbarten Königreichen von entscheidender Bedeutung waren.
Alexander tat genau das im Jahr 335 vor Christus. Er arrangierte eine Ehe zwischen der willensstarken Kynane mit einem seiner loyalsten verbündeten Könige, einem Mann namens Langaros. Doch wie Ihr wahrscheinlich erraten habt, war Kynane darüber nicht besonders glücklich, ein Bauer in Alexanders diplomatischen Schachspiel zu sein. Und, nicht lange bevor die Ehe geschlossen werden sollte, starb Langaros einen sehr mysteriösen Tod.
Dies hat einige zu der Annahme gebracht zu vermuten, dass Kynane an Langaros unerwartetem Ende beteiligt war. Angesichts ihres starken Widerspruchs gegen die Ehe selbst erscheint es heute noch sehr wahrscheinlich.
Über die Periode 335 v. Chr. – 323 v. Chr. erfahren wir nicht viel über Kynane. Man kann verstehen warum dies so ist. Unsere heutige verfügbaren Quellen, oder besser gesagt, jene die die Zeit überdauerten, konzentrieren sich in der Regel auf Alexander den Großen. Geschichten und Aufzeichnungen über seine Eroberung des Persischen Reiches und seinen Marsch mit seiner Armee bis nach Indien dominieren die Aufzeichnungen.
Doch nach dem Tod von Alexander dem Großen in Babylon im Jahr 323 v. Chr. rückt Kynane wieder in das Licht zurück.
Der Tod des großen Königs
Nach dem Tod von Alexander dem Großen und besonders unmittelbar nach seinem Tod herrschte absolutes Chaos im Königreich Makedonien, es war das mächtigste Reich welches die Welt bis dahin gesehen hatte. Zusammenfassend gesagt, gab es in Babylon einen großen Streit wer von zwei rivalisierenden Parteien nun regieren sollte. Eine von Perdikkas angeführte, dem höchsten Kommandeur in Babylon. Oder, die andere von Meleager angeführte Partei, einem führenden Infanterieoffizier.
Es kam zu Meinungsverschiedenheiten, es kam zu Scharmützel und irgendwann stand ein Bürgerkrieg im Reich bevor. Doch die Gemüter kühlten sich (vorübergehend) ab, und schließlich wurde ein Kompromiss erzielt, als die Makedonier einen Mann namens Arrhidaeus krönten, der als König Philipp III. Arrhidaios bekannt wurde. Aber auch als…
…der Marionettenkönig!
Philipp III. Arrhidaios war der Halbbruder von Alexander dem Großen (und somit auch von Kynane). Im Gegensatz zu Amyntas hatte er Alexanders Regierungszeit überlebt, weil Alexander ihn nicht als potenzielle Bedrohung auf seinen Thron angesehen hatte.
Obwohl wir nichts sicheres über seinen Charakter überliefert bekommen, da oft nur als „Geisteskrank“ bezeichnet, war Arrhidaeus einfältig. Aber eines scheint offensichtlich: Er konnte allein keine logischen oder strategische Entscheidungen in der Position als König treffen, er konnte nicht ohne Hilfe regieren.
Aus diesem Grund sah Alexander während seiner Amtszeit Arrhidaeus nie als Rivalen seines Throns an. Tatsächlich scheint es ihm sogar gefallen zu haben, ihn bei sich zu haben. Alexander nahm seinen Halbbruder mit auf seinen Kampagnen und Arrhidaeus war auch in Babylon anwesend, als Alexander starb.
So wie Alexander Arrhidaeus nicht als Bedrohung gesehen hatte, dachten wohl auch die Generäle in Babylon nach Alexanders Tod. Dies galt insbesondere für Perdikkas, der Hüter von Alexanders Reich in Asien, der Chefberater von Philipp III. Arrhidaios geworden war.
Als Wächter des neuen Königs war Perdikkas somit der Mann, der ab dann die wahre Macht im Reich ausübte. Er war der Mann, der Philipp Arrhidaeus Gedanken und Ideen ins Ohr flüsterte. Eine der zwielichtigen, einflussreichen Figuren, wie wir im Laufe der Geschichte sehen, um einem schwachen Monarchen „zu helfen“. Arrhidaeus war nur dem Namen nach König, er war letztendlich Perdikkas Marionette.
Gelegenheit für Kynane
Es waren jedoch nicht nur Perdikkas und die Generäle in Babylon, die erkannten, dass sie die geistige Unfähigkeit von Philipp III. Arrhidaios zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Die Nachricht vom Machtantritt in Babylon von Arrhidaeus erreichte bald auch die Heimat Makedonien und Kynane. Als sie die Nachricht hörte, spürte auch sie die Gelegenheit: Jetzt war die Zeit für eine Machtübernahme gekommen. Durch Ihre direkte Blutsverwandschaft konnte sie Ansprüche auf Alexanders Nachfolge geltend machen. Auch wenn wir heute wissen, Blutsverwandschaft galt in Makedonien nicht viel, oder schützte einen nicht, wenn es um Machtfragen ging. Jedoch, wollte sie nicht direkt den Thron besteigen, sie hatte eine andere Idee.
Kynane verschwendete also keine Zeit und setzte ihren Plan konkret in die Tat um. Zu dieser Zeit (Anfang 322 v. Chr.) hatte Kynane eine 15-jährige Tochter namens Adea – das Kind aus ihrer Ehe mit Amyntas. Da es nach Machtantritt des neuen Königs noch keine makedonische Königin gab, setzte sich Kynane dafür ein, dass ihre Tochter mit Philipp III. Arrhidaios verlobt werde.
Warum ihre Tochter verloben? Kynanes Denken dahinter war sehr einfach. Wenn ihre Tochter Adea die Frau von Arrhidaeus würde, wäre sie die dem König am nächsten stehende Person und würde folglich eine große Kontrolle über ihn ausüben können und an Position gewinnen. Adea als Frau und Königin würde Perdikkas als Haupteinfluss auf Philipp verdrängen. Somit könnte Kynane über ihre Tochter fast direkt die Macht im makedonischen Reich an sich reißen.
Besser noch, wenn Adea dann einen Sohn zur Welt bringen würde, würden Kynane und Adea weiter an Macht und Größe gewinnen. Fast schon wie eine Dynastie mit Großmutter und Mutter des nächsten Thronfolgers. Das war Kynanes Plan, die mächtigste Person in Alexanders „geerbtes“ Reich zu werden. Es war ein mutiger Plan, aber durchaus gut bis ins Detail durchdacht.
Denn, Kynane hatte noch einen großen Trumpf im Ärmel, der ihr half ihr kalkuliertes Machtspiel verwirklichen zu können: ihre direkte Verwandschaft zu Alexander den Großen.
Die Makedonen betrachteten Alexander als eine halbgöttliche Gestalt, einen Mann, der seinen Platz unter den Göttern eingenommen hatte, als er seinen letzten Atemzug getan hatte. Eine direkte Verbindung zu dieser übermenschlichen Figur zu haben, war für Kynane goldwert und sie nutzte dies effektiv aus. So sehr, dass Kynane bald eine kleine Armee von Makedonen versammelte, die ihr Unternehmen unterstützen.
Mit dieser engagierten Truppe begann Kynane den Marsch nach Babylon, um Adea mit Gewalt auf den makedonischen Thron neben dem König zu setzen. Nachdem Kynane und ihr Gefolge eine kleine Streitmacht entscheidend besiegt hatten, die Antipater – der mächtigste Mann in Makedonien – geschickt hatte um sie aufzuhalten, überquerte sie den Hellespont nach Asien und zog weiter in Richtung Babylon.
Zeit zu handeln
Als Perdikkas und viele der anderen Generäle in Babylon hörten, dass Kynane mit einer Armee auf sie zu marschierte, waren sie alles andere als erfreut. Sie sahen Kynane als direkte Bedrohung für ihre neu gewonnene Macht an. Die Macht die sie nach dem Ableben des großen Königs Alexander an sich gerissen hatten. Kynane musste also gestoppt werden. Sie konnten nicht zulassen, dass sie Babylon erreichte und mehr Einfluss auf die dort stationierten makedonischen Soldaten erlangte.
Perdikkas handelte umgehend. Er befahl seinem Bruder Alketas das Kommando über die makedonische Armee in Babylon zu übernehmen und Kynane auf ihren Zug zu stoppen. Alketas gehorchte und führte die Armee aus Babylon heraus, um die Kriegerprinzessin aufzuhalten.
Konfrontation mit Kynane
Kynane führte ihre Armee an, Alketas führte seine an – ihre Armeen trafen sich irgendwo auf der asiatischen Seite des Hellespont. Stellt Euch die folgende Szene vor:
Zwei makedonische Armeen. Kynane marschiert auf einer Seite in Richtung Babylon. Alketas und seine makedonische Armee auf der anderen Seite bereiteten sich auf den Kampf mit dem Befehl vor, sie nicht passieren zu lassen. Alles bereit für einen Showdown.
Vor dem Ausbruch der Kämpfe zwischen den beiden makedonischen Parteien trafen sich Kynane und Alketas vor den Augen der beiden Armeen.
Jahre zuvor waren diese beiden Figuren der makedonischen Geschichte noch Freunde gewesen. Sie waren sehr enge Gefährten am makedonischen Hof, beide waren etwa gleich alt und gleichzeitig aufgewachsen. Doch diese Freundschaft war längst verflossen.
Die makedonische Amazone findet ihr Ende
Sobald Kynane ihren alten „Freund“ Alketas sah, der mit seiner Armee im Weg stand, beschimpfte sie ihn endlos vor allen Augen. Doch als Kynane mitten in ihrer Wutrede war, entschied Alketas für sich, dass er genug davon hatte. Mit ziemlicher Sicherheit nahm er auf Perdikkas (im voraus gegebenen) Befehl sein Schwert heraus und tötete Kynane an Ort und Stelle mit einem Stich. Die Halbschwester von Alexander dem Großen fiel tot zu Boden.
Alketas hatte gehofft, dass er Kynanes Machtspiel somit beendet hatte und dass die gegnerische Armee sich ohne zu Murren seinen Reihen anschließen würde. Aber, es folgte…
…erst Entsetzen, dann endlose Wut!
Als die makedonischen Soldaten – einschließlich diejenigen in Alketas Armee – Kynane leblos zu Boden fallen sahen, sahen sie die Brutale Aktionen von Alketas mit absolutem Entsetzen an. Und dieses Grauen verwandelte sich rasch in extreme Wut unter den Männern auf beiden Seiten. Der Wutausbruch bei den „einfachen“ Makedonen ist auch relativ simpel zu erklären:
Kynanes direkte Verbindung zu Alexander dem Großen und der makedonischen Königsfamilie. Kombiniert mit den legendären Geschichten über sie als die „amazonische Kriegerprinzessin“. Die makedonischen Soldaten zollten Kynane schon immer großen Respekt. Viele sahen sie vielleicht sogar als eine Heldin an. Einige der älteren Soldaten hatten sie vielleicht sogar auf dem Schlachtfeld selbst in Aktion gesehen. Wie konnte es ein einfacher ordinärer General wie Alketas wagen, diese berühmte Makedonin zu töten, die in direkter Verwandschaft mit dem Mann stand, von dem sie jetzt glaubten, dass er unter den Göttern lebt?
Die Soldaten waren so wütend auf diesen niederträchtigen Akt, dass sie Alketas dazu zwangen, Kynanes Wünsche voll nachzukommen. Sie forderten daher ihre Tochter Adea nach Babylon zu eskortieren und sie mit Philipp III. Arrhidaeus als neue Königin zu verheiraten. Was dann letztendlich auch geschah. Kynane hatte also ihren Plan verwirklicht, doch einen hohen Preis dafür bezahlt. Vor den Augen ihrer Tochter Adea bezahlte sie mit ihrem Leben.
Königin Adea-Eurydike II
Alketas gab nach, ebenso Perdikkas, und beide wussten genau, wie sehr ihre eigene Macht von der Unterstützung aus der makedonischen Armee abhing. Die Ehe ging voran und Adea wurde eine der mächtigsten Frauen im Imperium, die den Namen Eurydike annahm.
In den nächsten fünf Jahren wurde Eurydike eine wichtige Spielerin in den Kriegen der Nachfolger Alexanders und trat in die Fußstapfen ihrer Mutter als willensstarke, beeindruckende Kriegerin. Eine Figur, die sie bald in eine legendäre Rivalität mit einer anderen der mächtigsten Frauen der makedonischen Geschichte führte: Olympias (Myrtale), die Mutter von Alexander dem Großen.
Die Kriege der Nachfolger waren eine Zeit, die von Alexanders ehemaligen Kriegsherren dominiert wurde: Perdikkas, Ptolemaios, Lysimachos, Antigonos, der Grieche Eumenes und Seleukos, um nur einige zu nennen. Aber unter all diesen mächtigen Kommandanten der Makedonen gab es auch einige erstaunliche, unglaublich ehrgeizige und mächtige Frauen.
Kynane war nur eine von ihnen, aber ihre Geschichte scheint gegenüber den Lebensgeschichte der anderen herauszuragen. Ihre Kühnheit, ihr starker Charakter, ihre militärischen Fähigkeiten, ihr Charisma und die Tatsache, dass ihr Machtspiel erfolgreich war, obwohl sie am Ende den ultimativen Preis dafür bezahlt hat, macht sie zu einer der Großen Akteure der makedonischen Geschichte.
Anmerkung: Das es keine zeitgemäßen Abbilder von Kynane gibt, haben wir Bilder aus dem PC Spiel Total War verwendet.
Wenn Ihr Euch für die Erbfolgekriege nach dem Tod von Alexander den Großen interessiert, lest unbedingt unsere Lesereihe: Diadochen – Makedonische Game of Thrones